Der Münsteraner Andrea Arcais schreibt als Gastautor auf slowretail.de über den wunderbaren Wochenmarkt seiner westfälischen Wahlheimat und den ebensolchen, gerade erschienenen Bildband darüber. Vielen Dank dafür!
Wie ein kleiner Urlaub…
… so empfinden es viele Münsteraner, wenn sie mittwochs oder samstags über den Markt auf dem Domplatz schlendern, sich umsehen, ihre Einkäufe erledigen. Es ist ein fast schon mediterranes Flair, zumindest solange es nicht maimelt – wie der Regen in »Masematte«, dem Münsteraner »Slang«, genannt wird. Das Angebot dieses Marktes ist in jeder Hinsicht herausragend. Die Vielfalt, die Frische und vor allem die Tatsache, dass weiterhin viele bäuerliche Betriebe ihre Waren anbieten, das Land also in die Stadt kommt. Das macht eine der Besonderheiten dieses Marktes aus, auf den die Münsteraner zu Recht überaus Stolz sind.
Was für eine Kulisse
Der Münsteraner Markt hat auf dem Domplatz, im Herzen der Stadt, seinen Platz. Man kann ihn erreichen, indem man zunächst durch »die gute Stube Münsters«, den Prinzipalmarkt bis zum historischen Rathaus geht oder über ihn von der Entgegengesetzten Seite erreichen, indem man zwischen dem Bischofssitz und dem Fürstenberghaus der Universität auf den Dom platz geht.
Wie auch immer Sie auf den Markt gelangen – die Kulisse ist wirklich etwas Besonderes. Der mächtige Dom, das historische Rathaus, das Landesmuseum, der Bischofssitz und die historischen Gebäude des Generalvikariats und eines Teils der Universität – sie alle ergeben das Bühnenbild für das bunte Treiben auf dem Markt.
Die Hauptrollen in diesem genüsslichen Schauspiel sind ebenso vielfältig besetzt, wie der Markt selbst. Mal treten die Gemüse, das Obst auf, mal drängelt sich eine Schar von Käseleibern vor und gibt die Rampensau. Manche Markthändler füllen den Platz ganz aus mit ihren Stimmen, andere wiederum bevorzugen die leisen Töne.
Und dann gibt es die Menschen, die mal kurz angebunden zu »ihren« Ständen hasten um einen Einkauf zu erledigen, aber noch viel mehr von der Sorte, die das Einkaufen auf dem Markt fast genussvoll zelebrieren und eher schlendern denn gehen. Ein schönes Schauspiel.
Von weit her…
… kommen viele Produkte, die auf dem Münsteraner Markt zu finden sind. Oliven sind beileibe kein westfälisches Regionalprodukt. Aber auch aus den Küchen der Münsteranerinnen und Münsteraner sind Zutaten aus aller Welt heute nicht mehr wegzudenken. Münster beherbergt mehr als 50.000 Studierende in seinem Stadtgebiet. Viele Einwohner kommen aus dem europäischen Ausland aber auch aus anderen Kontinenten. Alle bringen ihre kulinarischen Kulturen mit. Ein großer Gewinn für die westfälische Universitätsstadt.
…und von ganz nah…
… aus dem Münsterland, manchmal aus den Gärten in der Stadt stammen beispielsweise Pflaumen. Kaum jemand weiß, dass der größte Teil der städtischen Flächen Münsters bis heute landwirtschaftlich genutzt wird. Ein großer Schatz sind daher die frischen Produkte aus der Region, die auf dem Markt zu finden sind. Obst, Gemüse, Eingelegtes und Eingemachtes gibt es in Hülle und Fülle. Den Jahreszeiten und ihren Produkten auf dem Markt zu folgen, gehört wohl zu den schönsten Erlebnissen – und sorgt für gesunde und schmackhafte Gerichte.
Handgemacht und Ausgewählt…
… sind immer noch viele Produkte, die hier zu finden sind – so wie beispielsweise Holunderblütensaft, Rhabarbersaft oder Konfitüren. Die Verpackung, in der diese Leckereien angeboten werden, stammen dann oft aus industrieller Fertigung und beherbergte einmal ein Massen produkt. Umso reizvoller ist die Aussicht, darin jetzt Produkte mit nach Hause in die eigene Küche nehmen zu können, für die sich ein Mensch Zeit genommen hat und mit Sorgfalt ans Werk gegangen ist. Den Unterschied kann man sehen, riechen und schmecken!
Eine Reise durch Europa in 60 Minuten
… kann man auf dem Markt absolvieren. Natürlich lieben die Münsteraner ihre Traditionen, die Produkte, die »vor der Haustür« gedeihen. Aber was wäre das Leben ohne Pasta, Pide, Oliven, Ananas, Artischocken, Parmesan und Gouda, Salami vom Wildschwein und Dorade aus dem Mittelmeer? Und bei aller Liebe zu saisonaler Kost muss man zwar im Winter keine Erdbeeren verspeisen, aber so ein Granatapfel, der ist auch nicht zu verachten, und auch eine reife Feige schmeckt wunderbar. An vielen Ständen sind all diese und weitere Leckereien aus fast allen Herren Länder zu bekommen. Ein Stand hat diesen Anspruch schon im Namen und »lebt« dies per ecxellence: Paris direkt. Die jungen Leute, die den Stand von einem »Urgestein« des Marktes vor einigen Jahren übernahmen, bieten eine große Fülle von Obst und Gemüse aus fast ganz Europa an. Und einer ihrer Wege der Beschaffung führt sie tatsächlich auch auf den berühmten Pariser Großmarkt Rungis … Und dann gibt es schon mal »über Nacht« reife Tomaten und kleine dornige Artischocken aus Sardinien oder Pilze aus dem Perigord.
…Schwein gehabt – Retten durch Aufessen
Münsterland ist Schweineland. Das mag zwar übertrieben sein, allerdings ist das Schwein tatsächlich eines der wesentlichen Fleischlieferanten für die westfälische Küche. Und eines zeichnet die Küche im Münsterland, neben der sprichwörtlichen Üppigkeit ihrer Portionsgrößen, aus: Der Geschmack!
Schweine allerdings brauchen, damit ihr Fleisch tatsächlich Geschmack hat vor allem Zeit zum Aufwachsen und Fett! Nichts für unsere mageren Zeiten mit Model-Contest zur Hauptsendezeit. Im Münsterländer Städtchen Laer, unweit von Münster allerdings gibt es einen Bauernhof, einen sogenannten »Arche- Hof«, auf dem die Familie Büning eine alte Schweinerasse züchtet, die sich dortjede Menge Zeit zum Aufwachsen nehmen darf, dabei viel Platz hat und zudem, das hat das Schwein in den Genen, ordentlich Fett ansetzt. Das »Bunte Bentheimer Schwein«, so heißt diese Rasse, war fast schon ausgestorben und rettet sich nur dank der Dickköpfigkeit und Beharrlichkeit von Züchterinnen wie Maria Büning und Genießern, die keine Angst vor Fett, dafür aber viel übrig für Geschmack haben. »Retten durch Aufessen«, das ist eine Form der Arterhaltung die bestens auf einen Markt passt. Das Fleisch von ihren Bunten Bentheimer verkauft Frau Büning jeden Mittwoch und Samstag auf dem Markt.
Von der Schönheit des Einfachen
Wer Augen hat zu sehen … der kann auf dem Markt sich nicht nur an der üppigen Farbenpracht auf den Ständen der Blumenhändler erfreuen oder sich von der barocken Vielfalt der Schinken und Würste verführen lassen. Eine wirkliche Schönheit bildet häufig das Einfache. Besonders angetan haben es uns die Kartoffeln in ihrer Vielfalt. Knolle ist nicht gleich Knolle. Des Deutschen Lieblingsgemüse sieht nicht nur z.T. sehr unterschiedlich aus, hat viele verschiedene Formen und Farben, es schmeckt auch – je nach Sorte, je nach Erntezeitpunkt und je nach Bodenbeschaffenheit anders. Eine der Lieblingssorten trägt den schönen Namen »Linda«. Und gerade diese Lieblingskartoffel wird vielleicht demnächst auf dem Markt nicht mehr zu • nden sein, weil diese Sorte einer Firma gehört, die das Patent an ihr besitzt. Kurz bevor das Patentrecht abläuft, soll Linda vom Markt genommen werden und Bauern, die sie trotzdem anbauen wollen, soll dies untersagt werden. Die Geschichte ist noch komplizierter und kann im Internet unter www.kartoffelvielfalt.de nach gelesen werden. Es gibt aber einen »Freundeskreis Linda« und einen durch die Republik schallenden Rettungsruf: Rettet Linda. Dem schließen wir uns gerne an und halten es mit dem Rettungsmotto des Bunten Bentheimer Schweins: Retten durch Aufessen. Fragen Sie nach Linda!
Blumen, Taschen, Schalen, Nippes, Süßes, Grüße…
Was wäre ein Markt, den man ohne Blumen verließe? Nachgerade öde. Aber keine Sorge, der Markt auf dem Domplatz ist geradezu ein Garten! Kaum etwas, was Sie hier nicht finden können. So sieht man viele Marktbesucherinnen mal mit einem, mal mit zwei Blumensträußen nebst Einkaufstasche und Korb den Markt verlassen.
Aber es gibt natürlich noch andere Möglichkeiten sich für Nützliches oder scheinbar Unnützes zu begeistern und »zuzuschlagen«. Vom Schmuck, Geschmeide, Stoff und Wolle bis zur Keramik oder bunten Bändern und wunderbar buntem Nippes gibt es längs der Außenwände des Doms reichlich zu sehen und zu erwerben. Und von der Nähe zu den Niederlanden zeugen auf dem Münsteraner Markt nicht nur der Stand mit echten holländischen Nieuwe haring, also Matjes, sondern ebenso die nicht minder frequentierten Stände mit holländischem Naschwerk, vor allem Lakritz.
Nirgends ist Münster gesprächiger…
Wer erwartet, dass nach allem bisher geschriebenem der Münsteraner Markt akustisch sich irgendwo zwischen Neapel und Athen ansiedelt, der dürfte sich bei seinem ersten Besuch getäuscht fühlen. Bei allem fast mediterranem Flair: Münster liegt immer noch in Westfalen. Gebrüllt wird hier nirgends und Geschwätzigkeit ist keine Zier. Und doch: Nirgends ist Münster gesprächiger.
Der prägnanteste und erlebbarste Unterschied zwischen einem Einkauf in einem Supermarkt und einem Marktbesuch ist gerade der Kontakt zwischen dem Bauern, Erzeuger, Händler und seinen Kunden. Angeregte Gespräche über die Qualität und über unterschiedliche Rezepte sind an der Tagesordnung. Häufig kennen sich Kunde und Markthändler über Jahre. Und ebenso wichtig: Jeden Mittwoch und noch häufiger jeden Samstag treffen sich Freunde, Arbeitskollegen, Nachbarn »wie zufällig« auf dem Markt – ein kurzer Plausch, auch gerne an einer der drei Kaffeestände des Marktes fortgesetzt, stimmen so richtig auf das Wochenende ein. Bei »Wolle« direkt an der Dommauer, bei Espresso, einem Brötchen z. B. mit Mett vom Bunten Bentheimer Schwein ist Kult. Die »Gulaschkanone« gehört ebenfalls zum Inventar des Marktes. Und wie bei allen Gulaschkanonen dieser Welt (und diese Welt hat die Grenzen von Deutschland) gibt es dort vor allem Erbsensuppe.
Vom Wert des Selbstverständlichen
Der Autor dieser Zeilen hat, der Beruf forderte dies, drei Jahre nicht in Münster leben dürfen. An den südlichen Rand des Ruhrgebietes verschlagen, lernte er viele freundliche Menschen kennen und etwas wertzuschätzen, was er in den immerhin 25 Jahren, die er zuvor in Münster lebte, nicht vermisste: Den Markt auf dem Domplatz. Der Marktbesuch war ihm zur Gewohnheit geworden – ein fester Bestand teil seines Alltags. Der erste Besuch auf dem Wochenmarkt des neuen Wohnortes bescherte ihm eine nicht erwartete Überraschung: Es ist möglich, mit leeren Taschen vom Markt zu gehen. Die üppige Fülle des Angebotes auf dem Münsteraner Domplatz, die sinnlichen Reize, die Farben, Düfte und Aromen sind nichts Selbstverständliches. Das wurde ihm so spät wie abrupt klar.
In den drei Jahren lernte er auch im Ruhrgebiet interessante, ja sogar wirklich gute Märkte kennen, In Essen-Rüttenscheid lässt sich am Samstag einige kulinarische Neugier (und Gier) erfüllen. Wer den Weg ins nahe Bergische Land nicht scheut, der wird mit zum Teil herausragend guten Produkten, mit seltenen Hühnerrassen, handwerklich produzierten Ziegenkäse und anderen Leckereien belohnt. Wer Muße, Zeit und Leidenschaft aufbringt, der findet fast überall Schätze für die eigene Küche, die zu heben sich lohnt.
Die Selbstverständlichkeit aber, mit der er, nun wieder in Münster lebend, am Mittwoch und am Samstag mal mit dem Fahrrad, mal zu Fuß auf den Markt vor dem Dom geht, die hat er nun endgültig als etwas Besonderes zu schätzen gelernt. Der Markt in Münster ist wie ein kleiner Urlaub. Zweimal die Woche.
Historische Notiz
Die Münsteraner sind nicht immer auf den Domplatz gepilgert, um auf dem Markt ihre Einkäufe zu erledigen. Eigentlich war die gesamte historische Innenstadt ein einziger Markt. Ab dem 10. Jahrhundert ließen sich rund um den Dom wanderende Kaufleute nieder und begannen mit kleinen Märkten. Die Namen der Straßen rund um den Dom geben davon zum Teil heute noch Zeugnis: Roggenmarkt, Alter Fischmarkt…
Versorgt wurden diese Märkte von Bauern aus der Umgebung. Je größer die Stadt wurde und je umfangreicher die Belieferung dieser Märkte wurde, desto enger wurde es in der Innenstadt. Der Wochenmarkt wurde um 1900 herum auf dem Domplatz zusammengefasst. Mit Ausnahme der Kriegsjahre findet er seitdem dort statt.
Heute gibt es verschiedene Stadtteilmärkte. Aber mit rund 150 Ausstellern ist der Wochenmarkt auf dem Domplatz der größte und bedeutendste Markt in Münster. Und er ist Teil des historischen Gedächtnisses der Stadt. Der Wochenmarkt auf dem Domplatz findet jeden Mittwoch von 7.00 bis 13.30 Uhr und jeden Samstag von 7.00 bis 14.30 Uhr statt.
Der Bildband:
„Wie ein kleiner Urlaub… Der Markt auf dem Domplatz in Münster.“
Edition al dente, Verlag Gieselmann, Bielefeld, 2007.
60 Seiten, 85 Fotographien. Fotographien von Veit Mette, Text von Andrea Arcais.
Preis : 14.80 Euro
ISBN: 978-3-923830-65-7