Das Potenzial der Entschleunigung.

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Anläßlich der weltweit führenden Möbelmesse imm cologne veröffentlicht die Fachzeitschrift möbelkultur im Januar ein Sonderheft, den POS-Guide 2009. Ein Schwerpunktthema dieses Heftes sind Concept Stores, außerdem ist darin das untenstehende Interview mit dem Verfasser dieses Blogs zu finden. (In illustrierter pdf-Version gibt es das Interview übrigens auch hier zum Download).

 

Slowretail: Warum „cross-selling“ im Möbelhandel immer wichtiger wird.

DAS POTENZIAL DER ENTSCHLEUNIGUNG

Slowretail heißen die Unternehmensberatung und der gleichnamige Blog von Alexander von Keyserlingk. Der Experte engagiert sich für einen werthaltigen Handel, der auf Individualität setzt. Gerade der Mittelstand ist gefragt, seine Stärken wiederzuentdecken und eigene Konzepte wider die Uniformität zu entwickeln. Nur so ist eine Abgrenzung vom Wettbewerb möglich.

möbel kultur: Sie nennen Ihr Projekt und Ihre Unternehmensberatung „Slowretail“, was in etwa mit „entschleunigtem Einzelhandel“ zu übersetzen ist. Was möchten Sie damit ausdrücken und bewirken?

Alexander von Keyserlingk: Das „Slow“ steht dafür, innezuhalten, über Gewohnheiten nachzudenken und die Sinnhaftigkeit des Konsums zu hinterfragen. Angefangen hat alles mit einem Blog, der innovative Handelskonzepte vorstellt und kritisch beurteilt. Daraus entstand die Idee zu einer Unternehmensberatung. Mit Slowretail wollen wir Händler zu mehr Individualität, Innovation, Nachhaltigkeit und auch zu mehr Mut im täglichen Handeln bewegen. Meine langjährige Einzelhandelserfahrung hat mich für diese Themen sensibilisiert.

möbel kultur: Um den Kunden noch zu überraschen und ihn zum Staunen bzw. Entschleunigen zu bringen, bedarf es eines individuellen Profils. Das ist einfacher gesagt als getan.Was raten Sie?

Alexander von Keyserlingk: Jeder Kaufmann hat eine eigene Ur-Motivation, einen spezifischen Antrieb für seine Taten. Paradoxerweise sehen sich Händler im Tagesgeschäft aber hauptsächlich als Teil des Wettbewerbes und orientieren sich mehr an anderen als an sich selbst. Ich rate jedem, seinen Ursprung wiederzubeleben und auf die
Konkurrenz erst dann zu achten, wenn alle eigenen Ressourcen entdeckt und bestmöglich umgesetzt sind. Diese Achtsamkeit auf das persönliche Alleinstellungsmerkmal überträgt sich auch auf den Kunden.

möbel kultur: Sie kennen aufgrund Ihrer Biographie den Bekleidungseinzelhandel sehr genau. Dort wird das Thema Vertikalisierung groß geschrieben. Werden vertikale Strukturen auch im Möbelhandel immer stärker zunehmen?

Alexander von Keyserlingk: Auch der Möbelhandel wird verstärkt vertikal handeln, also selber produzieren und die Produkte über möglichst identisch multiplizierte Filialen vertreiben. Vor dem Hintergrund der derzeit angesagten Effizienzoptimierung ist dieser uniforme, globale Trend wohl nicht zu stoppen.

möbel kultur: Sorgt aber die Vertikalisierung nicht für eine Verwässerung der Handelsmarke? Ein Möbelhändler will doch mit seinem Namen werben, muss sich aber gegen immer mehr Marken (z.B. durch Shop-in-shop-Systeme) auf der Verkaufsfläche durchsetzen.

Alexander von Keyserlingk: Die wachsende Vertikalisierung bedingt zugleich – wie bereits in der Modebranche und da bin ich auch hinsichtlich des Möbelhandels sehr optimistisch – einen Gegentrend bei den individuellen Händlern: Sie werden hoffentlich und endlich den ungleichen Kampf gegen die Möbel-Goliaths aufgeben und neue,
innovative und inspirierende Handelswelten entwickeln. Sie verlassen die Vergleichbarkeit und bieten ihren Kunden echte Erlebnisse im Sortiment und der Ladengestaltung, gegen die die Vertikalen keine Chance haben. Sie verwandeln vermeintliche Schwächen in Wettbewerbsvorteile.

möbel kultur: Die Angst vor einem schwierigen Jahr im Möbelhandel wächst. Es wird sich zeigen, ob die Kaufzurückhaltung insbesondere auf langlebige Produkte wie Möbel durchschlägt. Welche Präventivmaßnahmen können oder müssen jetzt ergriffen werden?

Alexander von Keyserlingk: Hier werden die Händler gewinnen, die sich verändern und einen neuen, individuellen Geist leben. Dazu braucht es keine großen Investitionen und Kampagnen, sondern intelligente, kundenorientierte Maßnahmen. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten überzeugt selbst der niedrigste Preis niemanden, das Produkt gerade jetzt zu kaufen. Dies gilt insbesondere für langlebige Güter, deren geplante Anschaffung bewusst im Familienrat verschoben wurde. Der bemühte Begriff „Kaufzurückhaltung“ beschreibt die Lage treffend.
Jener Möbelhändler, der seine Kunden mit persönlicher Ansprache und individuellen Vorteilen überrascht, wird sich nicht nur am Markt behaupten, sondern sogar wachsen.
Vertrauen und Kontinuität gehören in schwierigen Zeiten zu den wichtigsten Sympathie-Kriterien. Werden diese Werte ausgestrahlt, wird sich die Kundenbindung und damit der wirtschaftliche Erfolg einstellen.

möbel kultur: Meinen Sie, dass Rabattschlachten vor dem schwierigen wirtschaftlichen Hintergrund eher noch zunehmen werden?

Alexander von Keyserlingk: Die Großen werden weiterhin und verstärkt auf Rabatte, Zahlungsziele und Zugaben setzen. Fraglich ist der nachhaltige Erfolg und vor allem der dadurch generierte Verlust an Glaubwürdigkeit in Bezug auf Preis und Qualität. Wenn man ehrlich ist, braucht die Ware zumeist niemand wirklich. Auch keine Schrankwand für 49 Euro.
Meiner Meinung nach gewinnen langfristig Seriösität und Transparenz. Das schließt smarte, behutsame Sonderaktionen und clevere Finanzierungsmodelle mit ein.

möbel kultur: Liegt die Lösung für den mittelständisch orientierten Fachhandel
dann eher in den Concept Stores?

Alexander von Keyserlingk: Da bin ich mit meiner vielgeklickten Liste weltweiter Concept Stores auf unserer Homepage mittlerweile Fachmann. Nach wie vor fasziniert mich die zunehmemde Anzahl von neuen und guten Store-Konzepten. Das Wesen des Concept Store ist „cross-selling“, also die inspirierende Verknüpfung von unterschiedlichen Produkten bzw. Warengruppen, die sich am Lebensstil des Kunden orientieren. In fashion-getriebenen Concept Stores sind Möbel und Wohnaccessoires oft bereits Teil des Sortiments – warum sollte dies nicht auch umgekehrt passen? Dem Möbelhandel empfehle ich, sich für neue Sortimente zu öffnen und regelmäßig
themenorientierte Veränderungen zu pflegen. Die Potenziale sind riesig und nichts ist so austauschbar wie der Preis.

Ein Gedanke zu “Das Potenzial der Entschleunigung.

  1. Interessantes Interview, gerade im Möbelhandel ist ein Trend Richtung „Alleinstellung“ schon lange zu bemerken, finde ich. So gibt es kleinere Möbelhäuser, die sich z.B. auf reine Ökoholz- und Naturholzmöbel spezialisiert haben, stärker auf Unikate setzen, selbst individuelle „Wohnewelten“ zusammenstellen und diese eben nicht nach Schema F anordnen. Trotzdem: mit den häufigen themenorientierten Veränderungen ist es wohl nicht so leicht, wenn schlicht der Warenumlauf langsamer als bei Discountern, Großgeschäften, ist.

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