
Aus dem Buch “Zeitkonserven – Frankfurter Traditionsgeschäfte”.
Wie viele Waren sein Angebot umfasst, kann Thomas Schmid gar nicht sagen. „Es werden etwa 40.000 sein“, schätzt er. 1998 begann er als Verkäufer bei Kurzwaren W. Wächtershäuser in der Töngesgasse und ist seit 2001 Geschäftsführer. In das Unternehmen kam er durch seine damalige Lebensgefährtin Sibylle Zolles, die hier bereits eine Ausbildung machte. Privat und geschäftlich sind die beiden längst getrennt, jedoch steht man in gutem Kontakt.
„Die Liebe ist gegangen, der Laden ist geblieben“, erzählt Thomas Schmid. So ist das manchmal.
Sibylle Zolles lebt mittlerweile in Wien und führt dort im 4. Bezirk ebenfalls einen alteingesessenen Laden: Alois Frimmel, Zum Alten Knopfkönig, gegründet 1844. Einmal im Monat kommt sie jedoch nach Frankfurt und schaut hier nach dem Rechten.
Während sie vom Fach ist – „ich war 1988 die Erste, die nach über 20 Jahren eine Lehre im Kurzwarenbereich machte“ -, ist Thomas Schmid branchenfremd. Ursprünglich lernte er einen technischen Beruf, aber der lag ihm nicht. Das Kaufmännische war schon eher sein Ding. „Es ist völlig egal, ob Sie Elektrokabel, Knöpfe oder Würste verkaufen, das Prinzip ist immer das gleiche.“
Und nur weil er einen Kurzwarenladen führe, müsse er noch lange nicht nähen können. Das wiederum können jedoch zwei Mitarbeiter, gelernte Schneider, die der Kundschaft – auch bei diffizileren Fragen – kompetent Rede und Antwort stehen.

Der Charme des Alten umgibt einen im gesamten Laden, und das ist gewollt. Beide, Zolles und Schmid, mögen das. Deshalb veränderten die beiden das Ambiente nur sehr behutsam. „Wir haben neu gestrichen, die Möbel abgelaugt und neu ausgerichtet, aber sonst ist eigentlich alles gleich geblieben.“ Das sei auch wichtig, sonst verschrecke man die Kundschaft. Und das wäre schade, schließlich existiert W. Wächtershäuser seit 1822 immer an derselben Stelle und ist einer der ältesten Einzelhändler in Frankfurt. Zwar wurde das Geschäftshaus im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört, nach dem Krieg jedoch an gleicher Stelle wieder aufgebaut. So ist der Standort seit 188 Jahren unverändert.
Kurzwaren. Ein Wort aus einer anderen Zeit, das unromantisch all die schönen Dinge umschreibt, mit denen sich – etwas Geschick vorausgesetzt – individuelle Modeträume verwirklichen lassen. Ebenfalls aus längst vergangenen Tagen stammt die Dekoration an den Wänden: Gobelins, Reklameschilder oder ein ewiger Kalender, der seit Jahrzehnten das richtige Datum zeigt. Und natürlich die Ladeneinrichtung, die zum größten Teil aus den 1950er-Jahren stammt. Die hellbraunen Holzregale, Kommoden und Vitrinen beherbergen Borten, Bänder, Tressen, Reißverschlüsse, Posamenten, Schließen, Nadeln, Organzablüten, Spitzen, Schnittmuster, Perlen, Kordeln, Fransen, Flicken, Futterstoffe, Besätze, Strasssteine und: Knöpfe, Knöpfe und nochmals Knöpfe. Über mehrere Regalmeter zieht sich die Auswahl, fein säuberlich nach Farben sortiert.
„Wir haben ständig etwa 8000 Knöpfe vorrätig, außerdem wechselt die Ware immer zum Frühjahr und Herbst, den aktuellen Modekollektionen entsprechend“, sagt Thomas Schmid. Es gibt Knöpfe in allen Farben des Regenbogens, in den unterschiedlichsten Formen und Größen und noch viel mehr Materialien. Aus Wasserbüffelhorn, aufgesägten Kaurischnecken, Kokosschalen, Steinnuss, aus Plastik, Glas, Metall, Perlmutt, Stoff oder Holz. „Unser exklusivster Knopf ist aus Strass und kostet 30 Euro, der banalste ist ein Bettwäscheknopf und kostet 15 Cent“, sagt Sibylle Zolles.
Mindestens genauso verblüffend ist die riesige Auswahl an Garnen, die sich auf großen und kleinen Spulen über eine Länge von fünf Metern an einer Wand entlang präsentieren. 375 Farben sollen es sein. Es gibt Fäden aus Polyester, Seide, Baumwolle, Allesnäher, Knopflochgarne, transparente Garne, Stick- und Stopfgarne, aufgewickelt auf Spulen mit zehn oder 5000 Metern Fadenlänge.

„Eigentlich haben wir keine Konkurrenz“, erzählt Thomas Schmid, auch wenn einige der großen Kaufhäuser noch Kurzwarenabteilungen haben. „Wir sehen uns als Mitbewerber, die dafür sorgen, dass man nicht in Lethargie verfällt.“ Eine Kundin schaut glücklich auf eine Spitzenborte, mit der sie einen Rocksaum verschönern will. „Dieser Laden ist ein Segen“, sagt sie, „hier findet man alles, was man zum Nähen braucht. Wirklich alles. Und falls es doch einmal etwas nicht gibt, bemüht man sich, es zu besorgen.“ Immer wieder entdecke sie Neues. „ Ich kann kombinieren, genau wie bei einem Kochrezept, nur dass mein Hobby nicht dick macht“, sagt sie. Außerdem schätzt sie die tolle Beratung: „Man merkt, dass hier Fachpersonal hinterm Tresen steht. Die wissen, wovon sie sprechen.“ Zwei Mitarbeiterinnen sind bereits seit über 20 Jahren beschäftigt, gehören quasi zum Inventar. Auch darauf ist Thomas Schmid stolz, dass der Großteil der Mitarbeiter nach der Geschäftsübernahme blieb.
Während Nähen früher eine lästige Notwendigkeit war, wird es in Zeiten von Kleidungsdiscountern immer mehr zur reizvollen Freizeitbeschäftigung. „Bei uns geht es doch darum, Dinge schöner zu machen. Dafür geben die Leute gerne Geld aus“, berichtet Thomas Schmid. „Schon mit wenigen Handgriffen wird so eine Billigbluse zum einzigartigen Designerstück, sei es durch neue Knöpfe oder eine schicke Applikation.“ Zwar sei ein Großteil der Kundschaft nicht mehr ganz jung, aber seit Hollywoodstars mit Stricknadeln gesehen würden, entdeckten auch die Jüngeren das Handarbeiten wieder, so Thomas Schmid. Und weil auch die älter würden, habe er keine Angst, dass ihm die Kundschaft wegstürbe.
Ihn reizt das Unterfangen, so einen Laden am Leben zu halten, im Geiste der Gründer, aber der heutigen Zeit angepasst. Der Name Wächtershäuser steht für ihn vor allem für ein außergewöhnliches Sortiment, für Tradition, persönliche Beratung und neue Ideen. Auch, wenn die Inhaber schon lange nicht mehr Wächtershäuser heißen, soll das so bleiben.
Thomas Schmid hat in dem Laden seine Lebensaufgabe gefunden, der er sich mit Hingebung widmet. Sein erklärtes Ziel ist es, 2022 das 200-jährige Firmenbestehen zu feiern. Mit ihm als Geschäftsführer.
Von Julia Söhngen.
W. Wächtershäuser, Töngesgasse 39, 60311 Frankfurt/Main
Das Buch „Zeitkonserven“ ist zu beziehen über den CoCon-Verlag.
Zwei kleine Anekdoten: enie Französin hat den Auftrag von Ihrer Schwiegermutter bei Wächtershäuser einzukaufen, nur hier gab es den gewünschten Taft. Und die Großmutter einer Komilitoninin hatte darauf bestanden während den Hochtzeitsvorbereitungen in der -> Kleinmarkthalle einen Abstecher zu Wächtershausen zum Knöpfe kaufen zu machen.