Camera Obscura-Kunst in Berlin.

Kürzlich hatte ich mit Freunden die Gelegenheit, den Fotokünstler Maciej Markowicz in seinem Berliner Studio zu besuchen – das Besondere: Maciej hat es auf seinem selbstgebauten Boot eingerichtet, das als schwimmendes Atelier auf der Spree, mit ihm als „Captain Camera“ am Steuer, unterwegs ist. So wie wir den analogen Prozess der Aufnahme bis zu einem einzigen (!) fertigen Foto erlebt haben (dessen Entstehung lichtbedingt zudem nicht immer garantiert gesichert ist), würde ich das Prinzip als „slow photography“ untertiteln.

Foto: Maciej Markowicz

Maciej hat das 2000 Jahre alte Prinzip der Camera Obscura für sich entdeckt und überträgt es buchstäblich in eine neue Bewegung: Moving Camera nennt er das, denn seine Linse läßt er nur während der Fahrt auslösen. Der silbern folierte, rechteckige Aufbau des Bootes verbirgt das Studio mit der Kamera in einer Bordwand, der Raum wird vollständig abgedunkelt. Man sieht absolut nichts, was ein Erlebnis für sich ist, zumal auf den schaukelnden Wellen der Spree. Wir haben es selbst erspürt, saßen mittendrin, praktisch im Inneren der Kamera. Unsere entspannten Gespräche des sonnigen Samstagnachmittags an Bord wichen gespanntem Schweigen: Denn nach dem Öffnen der kleinen Außenluke projiziert die Linse der Camera Obscura nun die vorüberziehende Außenwelt in die Dunkelheit auf die Studiowände rund um uns. Wie ein Experimentalfilm, auf dem Kopf stehend in fahrender Bewegung, großformatig in 180 Grad, farbig und gestochen scharf. Hier hat Maciej eine solche Szene einmal von der Brooklyn Bridge in New York festgehalten, damals war er mit einem zum Studio umgebauten VW-Bus in den Straßen von Manhattan unterwegs.

Der Künstler-Captain fährt das Boot in die gewünschte Position, steht dabei außerhalb des Studios in seinem Führerstand am Bug des Bootes. Er sieht also nicht genau, was die Linse der Kamera (und wir im Inneren) sehen. Er löst die Belichtung von dort per Fernauslöser nach Gefühl aus, ohne den Bildausschnitt genau auszurichten, nur ein paar Sekunden lang. Dann ist das Werk getan, ein Foto-Unikat ist im Kasten. Wir hören, wie Maciej auf der Spree rangiert und eilig das Boot anlegt. Wir nehmen wahr, dass er sich, ohne Lichteinfall zu verursachen, zu uns ins Studio windet und in vollkommener Dunkelheit das belichtetete Fotopapier in einer Rolle sichert. Ob die Aufnahme gelungen ist, ob das Licht passte, ob der fokussierte Ausschnitt des Motivs wirklich genau getroffen wurde – all das sieht Maciej erst später im Entwicklungslabor. Das ist sein Konzept, das Resultat wird immer bleiben, wie es geschaffen wurde: vollkommen analog, bewusst vage, aus Überzeugung unbearbeitet – und (konsequent gnadenlos in digitalen Zeiten) ein Einzelstück. Keine Vervielfältigung, keine künstlich geschaffenen „limited editions“ für einen skalierbaren Kunstmarkt. Es geht Maciej um eine Momentaufnahme, eine andere Sicht auf die schnelle Welt da draußen, gleich einem sonst nicht wahrgenommenen Wimpernschlag. Zu diesem Umdenken lädt er Interessierte ein, auf die Spree mitten in Berlin.

Foto: Maciej Markowicz

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