Das Phänomen Metzingen.

Metzingen
Foto: OutletCity Metzingen

Früher hiess er firmenintern nur „der Altbau“. Jener aufgebene Produktionsbetrieb, in dem die Hugo Boss AG an ihrem Stammsitz in der schwäbischen Provinz Musterteile, Lagerüberhänge und leicht fehlerhafte Ware verkaufte. Heute ist die ehemalige Uniformfabrik des Gründers Hugo Ferdinand Boss zum weltweit bekannten Modelabel avanciert und eine der stärksten Lifestyle-Marken der Welt. Auf das Städtchen Metzingen, unweit von Stuttgart, hat diese Prominenz gehörig abgefärbt.

Vergoldete Bürgersteige, realisiert mit den Erträgen des Factory Outlet-Tourismus, sucht man im Ort zwar vergebens. Wohl aber dürfte Metzingen der einzige 20.000 Einwohner-Ort weit und breit sein, der über ein Parkleitsystem verfügt, auf das manche Großstadt noch spart. Über 3 Millionen kaufwütige Besucher lockt die Gemeinde jedes Jahr an, die die 47 Outlet Stores internationaler Marken im Ortskern stürmen. Dies immerhin im Ortskern – so ist kein künstlich geschaffenes Shopping Center schuld an der sonst weit verbreiteten Verödung der regionalen Mikroökonomie. Es gibt noch kleine, buchstäbliche Einzel-Händler, Eisdielen á la Roma und Venezia, schwäbische Wirtshäuser. Sie spiegeln sich mittlerweile in den modernen Glasfassaden der „Fabrikverkäufe“. Ob die 1.400 Mitarbeiter des Konsummagneten sich aber zur kulturellen Identität ihrer gastgebenden Gemeinde bekennen, sei bezweifelt.

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Foto: OutletCity Metzingen

OutletCity Metzingen nennt sich das stetig wachsende Projekt (Outlet Village war bereits belegt) und wird als Fabrikverkauf verstanden. Wohlweislich kommt das Wort Fabrik hier in keiner Weltsprache vor – die Fabriken der hier verkauften Waren befinden sich überall auf der Welt, nur nicht in Metzingen. So betreibt etwa die US-Marke Polo Ralph Lauren ihren europaweit erfolgreichsten Store in der Outlet City, deren stabile Oxford-Hemden nicht selten deutlich mit dem Herkunftslabel „Made in Bangladesh“ versehen sind. Und die alte Samtfabrik am Ort beherbergt längst einen Teil der Outlet-Läden, für die die Produkte extra hergestellt und dann, ohne störende Zwischenhändler, mit 30 bis 40% künstlichem Preisabschlag  gewinnmaximierend abgegeben werden.

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Foto: OutletCity Metzingen

Ein wenig mutet die Parade der blitzeblanken Flagshipstores von Adidas bis Wolford an wie die real gewordene deutsche Fortsetzung des Kultfilms Westworld (wenngleich es hier inhaltlich weniger dramatisch zugeht) – ein Fremdkörper inmitten saftiger Hügelwiesen und der waghalsigen Interpretation der deutschen Sprache seitens der Residenten. Tatsächlich kann man hier alles außer Hochdeutsch. Am Ende bietet sich zumindest ein spannendes Beispiel für den Dialog zwischen treudeutscher Heimeligkeit und der großen Welt des schillernden Konsums. Ein Fescht für luxushungrige Schnäppsche-Jäger.

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