Slowretail in Slowcities.

downtown Stockholm

Von Alexander von Keyserlingk

Gedanken über ein Leben nach der Shoppingmall.

Das Konsum-Allheilmittel der Städte, der Investoren und der Handelsketten sind heute immer neue Einkaufszentren. Sie entstehen überall: im Ortskern, in den Innenstädten, in Stadtteilzentren, an der Peripherie, auf Wiesen und Feldern, per Landgewinnung. Der aktuelle Untergang der Warenhäuser verschafft den Mall-Machern neue Aufmerksamkeit, sie gefallen sich als Problemlöser. Und Sie verstellen den Blick auf Naheliegendes – die Reanimierung der bestehenden Lebensräume.

Einkaufszentren sehen sich als Impulsgeber für die Städte. Sie bündeln die „Nummer-sicher“- Konsummarken, schaffen künstliche Erlebnisse, wollen als Nahversorger unentbehrlich sein. Und, so argumentieren die Mall-Betreiber, es werden auch Mehrwerte für die Kunden geschaffen: Alles unter einem Dach, Entertainment, Edutainment, Well- und Fitness, Kinderaufbewahrung. Kostenloses Parken als höchster Wert.

Neben den uniformierten Citypoint-Arkaden entstehen superlative Shoppingstädte, von Stararchitekten errichtet, mit vermeintlich kundenbindenden Attraktionen. Größe zählt. Zunehmend werden diese Welten auf verschiedene Zielgruppen zugespitzt. Die Konzerne der Ladenbetreiber halten dafür eigene Store-Namen bereit, inhaltlich austauschbar. Und sie erfreuen sich am künstlichen Hype, sind first mover in einer fragwürdigen Welt.

Die Kunden der alten und neuen Einkaufszentren kommen aus herkömmlichen Welten. Sie wünschen sich Nahversorgung im Ort, der Straße, dem Haus. In Umfragen skizzieren sie historische Viertel in europäischen Metropolen als ideale Einkaufsumgebung. Es geht ihnen nicht um Romantik, es geht essentiell um komfortables, bodenständiges Einkaufen.

Die Menschen sehnen sich nach hoher Qualität ohne künstlichen Luxus, nach reeller Kommunikation mit Nachbarn und Händlerpersönlichkeiten. Tante Emma 2.0, ohne Animation. Die Vielfalt der Angebote, die gesellschaftlichen Unterschiede und deren gemeinsame Nenner machen das Einkaufen in noch funktionierenden Ortsstrukturen so interessant. Sie bereichern den Alltag und erweitern das Bewusstsein während die Großbildleinwand der Coca-Cola-Oase davon nur ablenkt.

Ist es eine kühne Vision, den Einzelhandel in die angestammten Lebensräume zurück zu holen?

Also – setzen wir (im gedachten Planspiel) die kommunal Verantwortlichen und die Stadtplaner an einen Tisch mit den üblichen Investoren, regionalen Immobilieneigentümern und Lobbyisten. Erklärtes Ziel der Versammlung ist die Sammlung von Lösungen, den Ödheimer* Innenstadtbereich mit gemischtem Einzelhandel zu bereichern und wieder lebenswert zu gestalten.

Jeder der Anwesenden verfolgt naturgemäß seine eigenen Interessen, ist interessiert an zusätzlichem Nutzen und win-win-Szenarien. Alles ist genau so wie neulich bei der Entscheidung für das neue Shoppingzentrum im Gewerbegebiet der Nachbarstadt. Mit dem Unterschied, dass es diesmal darum geht, bestehende Strukturen zu reanimieren statt künstliche zu schaffen.

Im Planspiel einigt man sich auf eine optimierte Erschließung der Straßen und Plätze (wie beim Neubau einer Mall auch) und auf einen vielfältigen Nutzungsmix. Verfügbare Grundstückslücken werden seitens der Investoren entwickelt und sind Teil des Gesamtkonzeptes.

Es gibt bekannte Ankermieter und zusätzlich im Quotenprinzip fest definierte Plätze für individuelle Händler und Dienstleister. Neu ist das Solidarkonzept: die großen Marken subventionieren die Kreativkultur, man netzwerkt miteinander und jeder gewinnt. Die Kleinen profitieren von der Frequenz der Etablierten, die Großen gewinnen durch kreative Nähe zu den Unabhängigen.

Alle Beteiligten haben verstanden, dass die internationale Bekleidungskette den regionalen Weinhändler und die kleine Ledermanufaktur zugunsten der Vielfalt braucht und verträgt. Es ist klar, dass das Restaurant auf dem Theaterplatz auch vom spätabendlichen Schaufensterbummel der Anwohner lebt. Und das es sinnvoller ist, den neuen MedienMarkt in der City mit einem Straßenfest einzuweihen als mit Eröffnungsschnäppchen zur Null-Uhr-Eröffnung in die Vorstadt-Mall zu locken.

*Ortsname von der Redaktion geändert.

Dieser Artikel erschien in der Fachzeitschrift creativ verpacken, Mai 2009.

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