Hamburg säuft ab – im Konsum.

Am Donnerstag dieser Woche sollte eigentlich am Hamburger Elbufer das „Westfield Hamburg-Überseequartier“ eröffnet werden: ein gigantisches, neues Einkaufszentrum. Nur zwei Wochen vor dem zuletzt geplanten Stichtag des 25. April aber wurde das Spektakel (wie schon wiederholt in den letzten Jahren) verschoben, diesmal auf Ende August 2024. Schuld für die Verzögerung sei nun ein veritabler Wasserschaden im zentralen Bereich des Untergeschosses der Shoppingmall – eine Ursache nicht ohne Ironie, angesichts der selbst gewählten Lage direkt an der „Waterkant“ in der Hafencity.

Hamburg, vielfach als schönste Stadt Deutschlands gerühmt, gräbt sich in der Qualität ihres Einzelhandels gerade selbst das Wasser ab – weil es die Schleusen (zu weit) geöffnet hat. Es liegt nahe, vergleichend Goethes Zauberlehrling zu bemühen, der seinerseits verzweifelt gegen ausufernde Fluten kämpfte:

„Walle! walle
Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser fließe…
… die ich rief die Geister, werd ich nun nicht los!“

Johann Wolfgang von Goethe, 1797

Der Handel geht den Bach runter

Das zitierte Wasser kann hier metaphorisch für eine neue Flutwelle des Konsums stehen, die Hamburg offenbar zu brauchen meint. Dabei vergisst man auf der städtischen Offiziersbrücke aber die, traditonell loyal vertauten, Flagschiffe des hanseatischen Einzelhandels rund um die Binnenalster und Fleete kommunikativ und routenmäßig mit ins neue Fahrwasser zu holen. Man nimmt stattdessen in Kauf, dass der angestammte Handel in den Einkaufsstraßen langsam aber stetig den Bach runter gehen wird. Dies vermutlich eher reißend als dümpelnd, wenn die Westfield-Mall ihre Entertainment-Decks erst einmal geöffnet hat und, so steht zu erwarten, zum neuen Publikumsliebling wird.

Kaum eine Region in Deutschland hat eine solche Dichte an jahrhundertealten Handelsunternehmen, fast egal in welcher Branche. Ihren ursprünglichen Reichtum verdankt die Freie- und Hansestadt Hamburg dem blühenden Kolonialhandel, der über den Hafen als ihr Tor zur Welt abgewickelt wurde. Noch heute zeugen die Kontorhäuser von der einstigen Vielfalt an exotischen Waren aus Übersee, die hier gelagert und umgeschlagen wurden. Diese Baudenkmale aus Backstein bilden zugleich eine schwer überwindbare Barriere zwischen der historischen Innenstadt und der retortenhaften, vergleichsweise charmearmen Hafencity, die nun die historischen Wahrzeichen des Touristenmagneten Hamburg ablösen soll.

Sirenen versprachen ewiges Glück

Dabei gab es auch jenseits der künstlichen Traufhöhen-Tanker am Hafen zunächst durchaus Interesse an einer weiterhin vital sprudelnden Innenstadt. Aber dummerweise ist plötzlich nicht nur der Gänsemarkt prominentes Opfer einer Flut von gescheiterten Investoren geworden, die der Stadt, ähnlich der sagenhaften unheilbringenden Sirenen seinerzeit Odysseus, ewiges Glück versprachen. Denn jüngst sind die Bauherren im Strudel eigenen Hochmuts untergegangen und hinterlassen skelettige Bauwracks in prominenter Lage. Eine Rettung ist am Horizont nicht in Sicht, wie auch beim Elbtower.

Das Überseequartier aber ist fest im Hafen verankert, nur noch mal kurz für eine Überholung seiner Schotten auf Reede und sein finaler Stapellauf ist in Hamburg lange schon Gewissheit – es ist schließlich seit 20 Jahren in der Planungsphase. 80.000 qm zusätzliche Einzelhandelsfläche entstehen hier für Hamburg. Ein großer Teil der, dafür städtebaulich vernünftigerweise notwendigen, Neu-Kanalisierung des Flusses künftiger Stadt- und Shoppingbesucher war schon zu Zeiten des vormals Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz klar und in ihrer Brisanz auf höchstem Pegelstand. Vielleicht ist der nun drohende Untergang der Lebens- und Einkaufsqualität seiner Heimat-Innenstadt aus Scholz‘ Perspektive nur ein Kollateralschaden, angesichts seines persönlichen Strebens zu neuen Ufern, von der Elbe an die Spree.

Wie in Goethes Zauberlehrling soll nun ein, in höchster Not zur Hilfe herbei beschworener, Hexenmeister in Hamburg rasch helfen: Der Bürger. Die Stadt Hamburg gibt ihrem Volk aktuell für volle 14 Tage online die Gelegenheit, Ideen zur Rettung der Innenstadt beizusteuern. Danach mag es schweigen, man hat es ja gefragt. Für möglichst wenig auszuwertenden, konstruktiven Zufluss seitens des Souveräns hat man übrigens stabile Dämme gebaut: die Seite ist übel bürokratisch gestaltet, ein investierter freier Tag und ein akademischer Abschluss in Stadtplanung wären zur Bewältigung der Bürgerbeteiligung hilfreich.

Ein Panamakanal am Chilehaus

Ein persönliches Fazit zum selbstgeschaffenen, für den bestehenden Einzelhandel wohl absehbar fatalen, Tsunami in (meiner Geburtsstadt) Hamburg: Es ist in Deutschland allgemein bekannt und weithin beklagt, dass Behörden oft zu träge entscheiden und man mutige, gar innovative Entscheidungen meist vermisst, auch und insbesondere in der langwierigen Stadtentwicklung. Im Nachhinein wird dann medienwirksam eingeräumt „Ja, man hätte eigentlich von Anfang an gemeinsam gewollt… wird weiter geprüft… aber ohnehin sind andere schuld“… .

In diesem jüngsten, deprimierenden Fall in Hamburg hat man seitens der Stadt die einzigartige Chance verdrängt, neu entstehende, im Wettbewerb der Einkaufsstädte alleinstellende Impulse in der Strahlwirkung Hamburgs als vernetzte Shoppingmetropole aufzugreifen. Statt diese für alle relevanten Quartiere von Beginn an konsequent und dynamisch miteinander zu denken. Für verbindende, physisch zu schaffende Strukturmaßnahmen, wie zum Beispiel die visionäre Schaffung einer Art „Panamakanal am Chilehaus“ – als attraktive fußläufige Verbindung zwischen Mönckebergstraße und Hafen – wäre die Stadt verantwortlich. Derlei kümmert den Investor an der Hafenmole freilich wenig, wenn er, wie geschehen, von der Stadt eine eigene U-Bahn-Station geschenkt bekommt und sich selbst ein großes Parkhaus baut. So möge der künftige Hamburg-Besucher doch ganz frei entscheiden, ob er der neu glänzenden, superlativen Attraktion am glitzernden Hafen oder der altbekannten old school-City seine knappe Städtereisezeit widmen möchte. Dank der ebenfalls zusätzlich neu geschaffenen, annähernd 1.000 Hotelbetten neben der Shoppingmall kann er auch gleich dort übernachten.

Das neue Überseequartier ist, in meiner Wahrnehmung, nicht weniger als ein Verrat seitens der Kapitäne der Freien und Hansestadt Hamburg an der eigenen Besatzung; der treuen, hanseatischen Kaufmannschaft. Die hat für eine angemessene Meuterei aber vermutlich schon zu wenig Wasser unterm Kiel. Und sie wird weiter ins Ungewisse treiben, angesichts dieses folgenreichen Navigationsfehlers in einer weiteren stürmischen Schlacht des Konsums. Denn man tau.

Foto: Baustelle des Überseequartiers Hamburg (Wikimedia Commons)

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