Die Manufaktur der Gartenzwerge.

Jeder kennt Gartenzwerge als eines der berühmtesten deutschen Klischees. Kaum jemand weiß aber, dass die dekorativen Kerlchen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Thüringen erfunden wurden. Im Ortsteil Gräfenroda der Gemeinde Geratal, am nördlichen Rand des Thüringer Waldes, hat Helma Ortmann als Quereinsteigerin vor ein paar Jahren den traditionsreichen Betrieb Philipp Griebel, gegründet vor genau 150 Jahren, übernommen. Er steht heute für die Marke Zwergstatt Gräfenroda.

Die Werkstatt ist nicht nur eine der ersten sondern heute die weltweit einzige, verbliebene Manufaktur für handgefertigte Gartenzwerge aus Ton. Sie sind mittlerweile Immaterielles Kulturerbe Thüringens und der Ort Gräfenroda ist ihre Heimat.
Aber sie hatten es nicht immer leicht in ihrer Geschichte.

Tonangebend: Helma Ortmann (Foto: Zwergstatt Gräfenroda)

Helma Ortmann ist eine unermüdliche Unternehmerin, sie ist in vielfacher Hinsicht gewissermaßen tonangebend für ihren Betrieb: Sie wählt die Formen der Figuren aus, bestimmt die Farben ihrer Bemalung, steuert die Bestellungen und plant die Priorisierung der nächsten Aufträge für die Manufaktur. Das ist schon mal herausfordernd, vor allem wenn Sonderauflagen gewünscht werden, die man, trotz chronisch knapper Produktionskapazitäten, einfach nicht ablehnen kann.

Zuletzt bestellte der TV-Sender rbb hunderte von Exemplaren „Pitti Platsch“ und „Schnatterinchen“. Sie sind die Stars der Abendgruß-Sendung „Unser Sandmännchen“, im Westen Deutschlands vielerorts als Ost-Sandmännchen bekannt und geliebt, damals wie heute. Das Format überlebte als einziges des Kinderfernsehens der DDR und wird auch 34 Jahre nach dem Fall der Mauer bundesweit ausgestrahlt.

Jüngst hat nun der Shopbetreiber des Deutschen Pavillons auf der EXPO 2025 im japanischen Osaka originale Gartenzwerge für den dortigen Verkauf angefragt. Da werden wohl einige Gesellen als Botschafter für den Freistaat Thüringen auf Weltreise gehen.

In der Manufaktur (Foto: Zwergstatt Gräfenroda)

Gemeinsam mit ihrem Ehemann plant Helma Ortmann das Marketing und die Expansion ihrer Zwergstatt im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Beide investieren in den Betrieb was sie materiell können und nicht zuletzt auch ihre ganze Kraft: Seit der Übernahme, die übrigens mitten in die Corona-Pandemie fiel, ist die Manufaktur von drei Mitarbeiterinnen auf ein gutes Dutzend gewachsen. Und längst sind es natürlich nicht nur männliche Vertreter ihrer tönernen Gattung, die hier liebevoll entstehen, sondern auch Gartenzwerginnen, wenngleich ohne Anspruch auf Quotengleichheit. Schließlich gehörten zur Zunft ihrer ausgewachsenen Vorbilder, der Bergbauarbeiter unter Tage, seinerzeit keine Mädels.

Manufaktur, Hofladen, Bistro und Museum

Zusammen hat das Team in Gräfenroda jüngst auch ein Bistro für die immer zahlreicheren, täglichen Besucher eingerichtet. Es gibt, neben einem Onlineshop, vor Ort natürlich einen liebevoll modernisierten Hofladen mit direktem Verkauf aus der Manufaktur. Und ein Museum zur Geschichte des Betriebes und seiner Produkte, das charmant aus der Zeit gefallen ist.
Hin und wieder bietet die Zwergstatt auch Führungen durch die Werkstätten und Workshops an, in denen man Zwergrohlinge selbst bemalen kann.

Im Manufaktur-Museum (Foto: Zwergstatt Gräfenroda)

Dunkle Kapitel: Gartenzwerge in den Diktaturen

Das Zwergstatt-Team erzählt bemerkenswerte Anekdoten aus der Geschichte der Gartenzwerge. So z.B. über deren schweren Stand zu humorlosen Zeiten der Nationalsozialisten und in der DDR:

Zwerge wurden zur Zeit des Nationalsozialismus als eine verherrlichende Darstellung eines Menschen mit der Behinderung des Zwergwuchses verunglimpft. Der deutsche Garten sollte frei von störenden Elementen und auch von ausländischen Pflanzen sein. Den Anwohnern der deutschen Weinstraße war es nicht gestattet, Gartenzwerge aufzustellen, da sie, im Wortlaut, das Landschaftsbild nachhaltig verschandeln.
Die Handelsbeziehungen der Hersteller ins Ausland wurden während des Zweiten Weltkrieges stark geschädigt oder komplett zerstört. Einige Hersteller fertigten in ihrer Not stattdessen Keramik-Anzuchtschalen oder Blumentöpfe. Andere verlegten sich auf branchenfremde Artikel wie geflochtene Munitionskörbe.

Während der anschließenden DDR-Zeit waren Gartenzwerge erneut nicht wohl gelitten:

Während der Deutschen Demokratischen Republik wurden die Gartenzwerge von der Obrigkeit ebenfalls nicht gerne gesehen. Man stigmatisierte sie als bürgerlich-kapitalistische Geschmacksentgleisung.
Im November 1948 wurde die Produktion untersagt, offiziell aus Materialmangel. Nahe liegt allerdings, dass im entstehenden sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat eher kein Platz für romantisierende Märchenfiguren vorgesehen war.
Sehr bald merkte man aber, dass wichtige Devisen aus der Keramikindustrie nun ausblieben und erlaubte die Produktion wieder – allerdings nur für den Export.

So deutschtümelnd, wie sie heute gerne kategorisiert werden, sind die Zwerge also nicht immer wahrgenommen worden. Und ihr erster und heute letzter Hersteller hat diese für seinen Betrieb düsteren Zeiten tapfer überstanden.

Vielfalt der Gussformen (Foto: Zwergstatt Gräfenroda)

Dieses Wochenende finden übrigens die Europäischen Tage des Kunsthandwerks statt. Die Zwergstatt in Gräfenroda hat dafür vom 5. bis 7. April extra für Besucher geöffnet. Alle dort arbeiten fleißig und sind gemeinsam stark, ganz nach dem traditionellen Wesen ihrer mit Phantasie und den eigenen Händen geschaffenen Helden, der Gartenzwerge.

Zwergstatt Philipp Griebel Gräfenroda, Zum Wolfstal 1, 99330 Geratal, OT Gräfenroda

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