Marktviertel Kiosk Bottrop

Marktviertel in Bottrop.

Zum Ausklang dieses denkwürdigen Jahres hier ein Mutmacher aus dem Ruhrgebiet, Slowretail at it’s best!

So inspirierend sah es heute mittag in der Innenstadt von Bottrop aus, als ich die Initiatoren vom Marktviertel an ihrem Kiosk besuchte. Es ist ein pool von Leuten, die meist aus der Kreativwirtschaft und dem Journalismus stammen und die eins gemeinsam haben: Bottrop ist ihre Heimatstadt. Strebten sie früher in jeder freien Minute in die Metropolen dieser Welt oder schufen am Rechner Content, saßen sie nun im ersten Lockdown dieses Jahres in Bottrop fest – und hatten Zeit, den Niedergang ihrer Innenstadt am eigenen Leib zu erleiden. Ihnen voran David Schraven, einer der Gründer des Correctiv, einer bekannten, gemeinnützigen Redaktion für investigativen Journalismus. Mit ihm kämpfen nun Art Directors und Markenprofis für ihre Stadt und wagen sich in Projekte, die inhaltlich zunächst jenseits ihrer „Heimatzone“ liegen.

Insolvenzen, Schließungen und Leerstand

Nach der Schließung des Karstadt-Kaufhauses vor ein paar Jahren wurde es im Zentrum der Stadt im nördlichen Ruhrgebiet immer trister. Ein Geschäft nach dem anderen schloss und wurde meist nicht neu besetzt, bestenfalls durch 1 Euro-Shops und Discounter. Zuletzt musste auch das traditionelle, hochwertige Modehaus Mensing, das in Bottrop seinen Stammsitz hat, Insolvenz anmelden. Befürchtet wird die Schließung von weiteren Modeläden und Filialen von Ladenketten sowie manchem inhabergeführtem Fachhandel ohne Zukunftsperspektive, auch mangels Nachfolgern im Generationenwandel. Welcher Spross eines Händlers kann schließlich in diesem Ambiente heute freudig 40 erfolgreiche Berufsjahre erwarten? Weitere Immobilien würden leer stehen und die Innenstadt endgültig zu einer leeren Hülle aus zumeist schäbigem Nachkriegsbeton veröden.

Ich habe mir sagen lassen, dass der oben gezeigte Anblick nicht unbedingt nur dem aktuellen Lockdown geschuldet ist: So sieht es in Bottrop auch sonst häufig schon ab mittags aus, weil es außer dem (gut funktionierenden) Wochenmarkt schlicht nichts gibt, das Besucher und Kunden in die Bottroper Innenstadt zieht. Schon gar nicht die Jugend, deren Schulen und der sie verteilende ZOB fußläufig entfernt sind. Sie finden keine Orte der Begegnung, das Shopping beschränkt sich auf den Collegeblock oder den Badeschaum bei Rossmann.

Start mit Kaffeewagen und Kiosk

Genau diesen Umstand haben sich die Macher vom Marktviertel zum Grundsatz gemacht: Sie wollen Orte der Begegnung schaffen, für die Jugendlichen und alle anderen Bottroper. Sie starteten mit einem Kaffeewagen, der durch die Stadt und die Umgebung rollte und Anlaufstelle für guten Kaffee, vor allem aber auch für Austausch und Netzwerkbildung ist.

Jüngst eröffneten die Marktviertler ihren stationären Kiosk direkt am Kirchplatz. Angeboten werden hier Produkte und Geschenkartikel aus lokaler Produktion, meist versehen mit einem gemeinsamen Label, um die Hersteller transparent zu machen. So profitieren alle im Netzwerk.

Machen statt möchten

Die Initiatoren meinen, es reiche nicht, nur schicke Konzepte für die Schublade der Stadtplaner und Wirtschaftsförderer zu entwickeln, denn man muss Veränderung nicht möchten, sondern machen. Sie sind auf die angestammte Kaufmannschaft der Innenstadt zugegangen, bislang organisiert in der IG Altstadt Bottrop. Hier wurde die Marktviertel-Offensive nicht nur interessiert zur Kenntnis genommen – der Verein hat sich kurzerhand in IG Marktviertel umbenannt.

Es entsteht in Bottrop etwas, das Vorbildcharakter für viele Innenstädte und Dörfer hat: Ein starkes Netzwerk zur Belebung der Innenstadt, das von vielen mitgestaltet wird. Die Marktviertel-Idee wurde nicht von langer Hand strategisch geplant, sie wurde schlicht gestartet. Der Art Director einer Werbeagentur baute im Handumdrehen die Webseite, seine Frau (eine professionelle Verpackungsdesignerin) entwickelte das Logo und das Packaging, während der Journalist sich an die Texte und Einladungen an Gleichgesinnte und potenzielle Partner machte. Alle bündelten ihre Reichweite in sozialen Medien und hatten so aus dem Stand Tausende von Followern gewonnen.

Kino, Tuk-Tuk’s und Jugendradio

Man kann sich vorstellen, dass die Aktivitäten bislang eine Unmenge an Arbeitsstunden und natürlich auch einiges an privaten Mitteln erfordert haben. Ich jedenfalls habe in kleinen Start-Up’s á la Tante Emma bisher selten eine solche Professionalität im Markenauftritt, dem Packaging und der Kommunikation nach außen erlebt. Das ist dem handwerklichen Know-How der Initiatoren zu verdanken, mehr noch aber ihrer intrinsischen Motivation, Bottrop wieder zu einem attraktiven Ort der Begegnung und des Flanierens zu entwickeln.

Schon wird über den kollektiven Erwerb und die kreative Entwicklung ganzer Immobilien gesprochen, über ein Open-Air-Kino an der Kirche mitten in der City und die Kooperation mit weiteren lokalen Herstellern und Händlern. So wird kein Wettbewerb sondern skalierter, regionaler Handel angeschoben. Es sind gerade Elektro-Tuk-Tuk’s unterwegs nach Bottrop, die die City ab dem Frühjahr an verschiedenen Punkten buchstäblich vernetzen werden, die Laufwege von A nach B schaffen und die verschiedene Angebote auf der Ladefläche haben. Und David Schraven hat die Jugendredaktion seines Correctiv neu in zentraler Lauflage der Bottroper Innenstadt als Jugendradio Salon5 verortet, cool als Lounge in einem ehemaligen Ladenlokal ausgestattet, mit einer Bühne für kleine Konzerte und professionellem Equipment für Film- und Radioproduktionen.

Lokal aus Leidenschaft

In letzter Minute kam noch die Nachricht über den Ticker, dass das insolvente Modehaus Mensing an allen sieben Standorten vom Mode-Filialisten Sinn übernommen wird. Das Haus soll künftig nicht mehr Mensing heißen, sondern „das macht SiNN„. Das tut es, nicht nur für Bottrop. Nur für Bottrop wünsche ich den Machern vom Marktviertel auch für und ab 2021 viel Kraft, Erfolge und Wachstum. Verdient habt Ihr es heftig mit Eurem professionellen Engagement und Eurer Devise #LokalAusLeidenschaft.

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